Samstag, 25. Juni 2016, 9:00 - 12:00,

Exkursion in der Brüglinger Ebene, Basel/Münchenstein

 

"Stadt- und Grünraumentwicklung Schänzli"

Spannungsfelder der Stadt- und Grünplanung

 

 

 

 

 

 

Bericht zur Exkursion vom 25. Juni 2016

 

Stadt- und Grünraumentwicklung beim Schänzli
Wie soll das Areal der Trabrennbahn entwickelt und im Verbund mit dem Birsraum für die Erholungsnutzung aufgewertet werden? Mit Thomas Jourdan (Gemeinderat Muttenz) und Pascal Gysin (pg landschaften/BSLA)

 

 

 

 

 

Der Eingang zum Schänzli, der Reitsportanlage im Südosten von Basel, auf Muttenzer Boden: Ein Ort an der Peripherie der Stadt; im Blickfeld noch das „Joggeli“ – das weltberühmte Fussball-Stadion von Herzog & De Meuron – , Tramgeleise, Velowege, Gewerbezone, Lärmschutzmauern und die Autobahn H18 (früher J 18[BP1] ). Und irgendwo im Hintergrund rauscht die Birs, doch kein Weg führt durch das Dickicht an ihre Ufer.  In seiner Charakteristik – zusammengewürfelt, über die Jahrzehnte gewachsen –  ist es ein Ort, wie es deren viele gibt im Schweizerischen Mittelland; ein Ort, stellvertretend für das, was unter den Stichwörtern „Agglomeration“, „Verdichtung“, „Umnutzung“ und „Freiraum und Naherholungsgebiete“ seit einer Weile schon sehr intensiv verhandelt wird,  in den Fachjournalen ebenso wie in den Medien für eine breitere Bevölkerung, denn es sind Themen, die uns alle angehen.  

 

 

 

Ein grosser gemeinsamer Garten für eine neue Siedlung

 

Dass gerade das Schänzli ein Ort von grossem Potential ist, leuchtet unmittelbar ein – mehrere Hektar grosse Fläche, kaum verbaut. Eine Fläche, die sich für neue, vielfältige Nutzungen anbietet. Genau von diesem Potential schwärmt der Muttenzer Gemeinderat Thomas Jourdan – er führt die vierzehnköpfige Gruppe auf eine Überführung, von der aus man Einblick ins  Schänzli-Areal hat. Dort sind inzwischen die ersten Trabrenn-Sportler eingetroffen, drei Wagen ziehen ihre Runden, und wenn die Bahn frei ist, lassen Hundebesitzer ihre Vierbeiner laufen.

 

„Der Muttenzer ist ein Agglo, der Muttenzer muss sich seinen Freiraum erkämpfen, der Muttenzer muss Naherholung mitten in der Stadt finden“, setzt Jourdan ein. Dass Muttenz unmittelbar hinter den St. Jakob-Sportanlagen beginne, sei den wenigsten bewusst.

 

Eine gute halbe Stunde spricht Jourdan mit Leidenschaft über die von ihm mitgetragenen und vertretenen Zukunftspläne für das Schänzli und das Gewerbeareal Hagnau direkt gegenüber. Muttenz ist die Gemeinde mit dem tiefsten Wohnungsleerstand schweizweit, Wohnraum schaffen steht also ganz oben auf der Prioritätenliste. Auf der einen Seite, auf dem Areal Hagnau-Ost, soll deshalb im Sinne von verdichtetem Bauen geplant werden, fünf Hochhäuser zwischen 45 und 88 Metern Höhe, das ergibt rund 500 Wohnungen, dazu 30'500 Quadratmeter Gewerbenutzfläche, ein Multiplexkino und vieles mehr; auf der anderen Seite das neue Naherholungsgebiet Schänzli, quasi der grosse gemeinsame Garten für die neue Siedlung. Sichere Verbindungen für Fussgänger und Velofahrende zu schaffen, gehört zu den künftigen Aufgabenstellungen eines Gesamtkonzepts, noch gibt es zwischen den beiden Bereichen erst eine etwas gruselige Unterführung im „Gangster Style“, wie Jourdan anmerkt. Finanziert würde die Erholungslandschaft Schänzli durch die Wertschöpfung im Hagnau-Areal, rund 15 Millionen würde eine Umgestaltung zum Naherholungsgebiet kosten. Die Idee zur Schänzli-Neugestaltung sei aber viel früher entstanden, als die Verdichtungspläne für Hagnau-Ost, betont Jourdan (nähere Informationen: http://www.hagnau-schaenzli.ch).

 

 

 

Widersteit der Ideen

 

Jourdan ist ein Politiker mit Visionen, gleichzeitig aber auch mit genügend Erfahrung und Erdung, um das Augenmass in punkto Machbarkeit zu bewahren.  Und mit der Bereitschaft zum Dialog, zum Aushandeln.

 

„Kritik, Widerstand sind inbegriffen. Hoffentlich auch“, betont er.  Denn natürlich sind nicht alle begeistert von der Idee, das Schänzli in der bisherigen Form aufzuheben. Pferdesportler und -sportlerinnen (ein Vertreter dieser Interessensgruppe ist anwesend) weisen zurecht darauf hin, dass hier internationale Wettbewerbe stattfanden und immer noch stattfinden – und auf der Tribüne sass 1980, beim Grün80-Besuch, sogar einmal die englische Queen!  

 

Unstimmigkeiten gab es auch zwischen Kanton und Gemeinde. Der Kanton wollte zunächst eine Roger-Federer-Halle bauen, dann eine Hochhaus für die Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. „Die Pläne und Ideen wechselten sich beinahe wöchentlich ab“. Nun sei man auf gutem Weg, der Kanton habe vor, das Areal im Baurecht an die Gemeinde Muttenz abzutreten, zwecks Grünraum-Entwicklung. Wieso weitere Grün- und Freiräume gerade hier dringend benötigt werden, macht Jourdan durch die Erzählung einer ganz persönlichen Erfahrung anschaulich: 8. Mai – Muttertag im Park im Grünen (ehemalige Grün 80): „Picknickdecken für Zmorge, Zmittag, Znüni, dazwischen auf jedem freien Fleckchen Ballspiele – da ist buchstäblich kein Quadratmeter frei!“ Die Park-im-Grünen-Infrastruktur, vor 40 Jahren geplant, vor 36 Jahren eröffnet, war noch nicht für eine solche dauerhafte intensive Nutzung angelegt.

 

Jourdan schliesst seine Ausführungen damit, dass er gelernt habe „Landschaft nicht als Restraum der Besiedlung sehen, als das, was davon übrig bleibt, vielmehr muss sie im Dialog mit der Bebauung aktiv geplant werden.“ Die beiden anwesenden Landschaftsarchitekten Pascal Gysin und Ingo Golz zeigen sich sehr angetan, die Argumente von Jourdan könnten die ihren sein. Golz, Präsident der Schweizerischen Stiftung für Landschaftsarchitektur (SLA) spielt ihm ein weiteres Stichwort zu, „für Ihre kommenden Auftritte!“. Das, worüber er gerade spreche, sei „freiraumbasierter Städtebau“.

 

Und Pascal Gysin ergänzt: Vielleicht ist der Quadratmeter auf dem Schänzli 7 Franken wert zur Zeit, vielleicht aber auch – symbolische –7000 Franken, je nachdem, wie viel Wertschätzung man dem Areal entgegenbringe. Sicher ist: Wenn es einmal zubetoniert ist, ist es weg.

 

 

 

Sand, Schotter und Wasser im Erlebnisraum Birs

 

Ein erster Schritt zur Entwicklung des Schänzlis wurde vor acht Jahren mit dem Masterplan von Pascal Gysin (pg landschaftsarchitekten) gemacht, der den zweiten Teil der Führung übernimmt. Vor den beiden Tribünen erläutert er seine Überlegungen: Diese Bauten (tatsächlich wirken sie schon ziemlich marode) müssten abgerissen werden, um den Zugang zur Birs zu eröffnen, die hier noch nicht renaturiert wurde, sondern in einem Betonbett fliesst.   Zur Zeit rauscht sie hinter den Tribünen, abgesperrt durch hohen Drahtzaun, man kann sie hören, riechen, aber nicht sehen und nicht berühren – die zentrale Qualität des Geländes, das Fliessgewässer Birs, ist überhaupt nicht erlebbar.

 

Gysin Idee dazu klingt simpel und überzeugend: Die Birs aus ihrem Betonkorsett befreien, sie auf einer Schotter- und Sandebene frei fliessen lassen, wobei auch natürliche Erosion zugelassen würde: „Sozusagen ein riesiger Sandkasten, in dem man auch mal den Grill aufstellen darf.“ Wie zur Illustration dieser Idee spielt die jüngste, zweijährige Exkursionsteilnehmerin hingebungsvoll in Kies und Sand,  neben einer Wasserpfütze. „Es braucht ganz wenig, damit die Kleinen sich wohl fühlen und wir uns hier entspannt unterhalten können.“ Auf der anderen Seite des Areals, an einer Brücke über die Birs, findet sich eine Tafel mit Gysins Plan: Die schon besprochene unterste Ebene mit dem befreiten Fluss, eine zweite Ebene mit Bäumen, Liegeflächen und eventuell einem Dressur-Viereck, jedenfalls eine Fläche für vielfältige Nutzungen. Die oberste Terrasse würde aufgeschüttet mit Material vom Aushub unten an der Birs und ebenfalls mit Bäumen bepflanzt, nicht zuletzt als optische Ablenkung von der J 18. Dennoch: „Wir sind hier nicht ‚in the middle of nowwhere’“, erklärt Gysin, „wenn ich hier abends im Gras liegen würde, höre ich den Lärm, werde ich Zeuge der Lichtverschmutzung.“

 

 

 

Freiraum unter Druck – und die Antwort der Landschaftsarchitekten

 

Die letzte Station ist eine Fussgängerbrücke über die Hochleistungsstrasse H 18 (früher J 18), die 1983 gebaut worden ist, damals noch ausserhalb des Siedlungsgebiets. Heute würde man sich eine solche Strassenführung wohl zweimal überlegen – Golz erwähnt die mächtigen Auf- und Abfahrtskreisel, die viel Raum blockieren. Die Autobahn riegelt Muttenz von der Birs ab und umgekehrt. Gysin erklärt, dass sein Schänzli-Masterplan nicht zuletzt deshalb eine Aufschüttung, eine erhöhte Terrasse vorschlägt – weil dadurch der Einschnitt zwischen Schänzli und Muttenzer Hangkante noch betont wird. Wer weiss, vielleicht ergibt sich dadurch eines Tages die Chance, den Einschnitt zu überdachen, eine Brücke zu schlagen.

 

Die Exkursion hat eines in aller Deutlichkeit gezeigt: Der noch vorhandene Freiraum gerät zunehmend unter Druck. Gefragt sind Konzepte, die aus dem Bestand das Beste herausschälen und multifunktionale Nutzungen zu lassen. Das abschliessende Statement von Pascal Gysin, vor der pittoresken Kulisse der Rennbahn-Beiz „Crazy Horse“, sollte man sich merken: „Wir sollten aufhören, uns nach einer verlorenen Idyllen, nach unberührter Landschaft zurückzusehnen. Wir können nämlich auch hier etwas gestalten, neben der Autobahn und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gewerbe.  Wenn wir Hochhäuser bauen können, können wir auch Landschaften im urbanen Umfeld schaffen. Wir können das, wir haben das Rüstzeug dazu.“

 

 

 

 

Barbara Piatti

 


 

© ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Stiftung Luftbild Schweiz, Swissair Photo AG
© ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Stiftung Luftbild Schweiz, Swissair Photo AG

Trägerschaft

 

Die Veranstaltungen wird unterstützt durch den Swisslos-Fonds des Kantons Basel-Landschaft.

 


Schweizerische Stiftung für Landschaftsarchitektur SLA

Fondation suisse pour l'architecture paysagère FAP

Fondation svizzera per l'architettura del paesaggio FAP

Fundazium svizra per l'architectura da la cuntrata FAC

 

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Hintergrundfotos: Schlosspark Meienberg, Rapperswil-Jona,  © Copyright Clemens Bornhauser, GTLA